Laute Rufe durchdringen den Groß-Gerauer Alltagslärm. Spaziergänger am Sandböhl schauen zum Himmel. Die klagenden und anschwellenden Rufe schallen vom Turm der Stadtkirche. Dort oben, über den Dächern der Stadt, noch über den Glocken, wird Hochzeit gefeiert. Es ist ein bemerkenswertes Paar, das sich die Groß-Gerauer Stadtkirche für seine Zukunft auserwählt hat. Die Augen der Vermählten blicken scharf in die Weite. Sie ist größer, wiegt knapp 1000 Gramm. Er ist kleiner, viel leichter, wirkt eher schmächtig. Mit Leichtigkeit auf spitz zulaufenden Flügeln schwingen sich die beiden in die Lüfte. Mit kraftvollen Flügelschlägen und rasanten Flugmanövern umkreisen sie den Himmel um die Stadtkirche. Wanderfalken.
Sie gehören zu den bekanntesten Greifvögeln der Welt. Sind auf allen Kontinenten heimisch. Oft jedoch selten. In Deutschland waren sie vor 40 Jahren fast ausgerottet. Der Mensch verfolgte und bejagte sie gnadenlos. Der Einsatz von DDT ließ die Eischalen zerbrechen. Es gab nur wenig Hoffnung. Doch der unermüdliche Einsatz von Naturschützern schenkte den Wanderfalken eine neue Zukunft. Nachzuchten, Auswilderungen, der Verzicht auf tödliche Gifte und der konsequente Schutz an den Brutplätzen waren erfolgreich. Die Wanderfalken kehrten zurück.
Pfarrer Helmut Bernhard und Bernhard Hormann (Kirchengemeinde) hatten vor Jahren die Idee, den Kirchturm als Lebensraum und Brutplatz für Falken und Fledermäuse herzurichten. Unterstützt von Vogelschutzwarte und NABU baute der umtriebige und findige Astheimer Vogelschützer Hans Mundschenk spezielle Nistkästen für die Falken. Auf der Südseite, mit Blick zum Sandböhl wurden die Nistkästen angebracht. Unterhalb der Glocken wohnen und brüten die kleinen Turmfalken. Sie sind oft rüttelnd in der Luft und jagen Mäuse. Oberhalb der Glocken, auf Höhe der Aussichtsplattform, ist die Kinderstube der stolzen Wanderfalken. Von hier oben erspähen sie ihr Leibgericht. Haustauben. In rasender Geschwindigkeit jagen sie die Tauben und erreichen im Sturzflug Geschwindigkeiten von weit über 200 Stundenkilometern. Wanderfalken sind die schnellsten Vögel der Welt. Deshalb auch begehrt und kostbar. Falkner richten sie zur Jagd auf Enten ab. Dass die Wanderfalken in diesem Jahr wieder in den Turm der Stadtkirche eingezogen sind, ist ein toller Erfolg. Haben Wanderfalken Gefallen an einer Wohnung gefunden, so bleiben sie dieser oft lebenslang treu. Nur rund 100 Wanderfalkenpaare brüten in Hessen. Deutschlandweit sind es etwas mehr als 600 Paare. In Kirchtürmen brüten nur ganz wenige. Die Groß-Gerauer Stadtkirche und ihre Gemeinde kann stolz auf ihre Falken sein.
Text und Fotos von Bernd Petri, Ornithologe, NABU