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GG Stadtkirche Prinzipalstücke

"Not-Glocke"

Ein Samstagabend im Frühsommer. Die Kirchenglocken läuten den Sonntag ein. Selbst in unserer quirligen Zeit entsteht noch so etwas wie eine friedliche Stimmung. Auch wenn in der Nachbarschaft noch ein Rasenmäher brummt. Oder ein eisiger Sonntagmorgen im Januar. Kein Mensch auf der Straße. Plötzlich dieser Klang drüben von der Stadtkirche. Am Glockenstrang wird da wohl keiner mehr ziehen. Aber trotzdem fühle ich es: Ich bin nicht allein. Unsere Stadt klingt schon. Und sie klingt schön.

Gehören Sie zu denen, die dem eigentümlichen Klang einer Glocke mit einem Anflug von Andacht begegnen? Innehalten? Kommt ein Seufzer über Ihre Lippen? Oder verfluchen Sie den Krach, wenn Sie nach der Nachtschicht endlich in die Federn gekommen sind und nun nicht schlafen können? Oder mussten Sie als Schüler Schillers „Glocke“ auswendig lernen und hassen deshalb dieses „Bimbimbim“.

Selbst dann müssen Sie es zugeben: Eine Kirchenglocke ist schon etwas Besonderes. Immer noch. Kein normaler Klang wie das Klingeln vom Telefon oder das Anlassen des Autos oder das Gedudel im Supermarkt. Kein normaler Gegenstand wie die Heizung oder die Lampen in der Kirche.

Als 1949 eine kleine Glocke in Groß-Gerau ankam, war das wirklich etwas Besonderes, denn jahrelang war nur ein ganz kleines Glöcklein auf dem Dach der kleinen katholischen Kirche zu hören gewesen, aber kein Glockenklang vom Turm der Stadtkirche. Der stand nämlich als ausgebrannte Ruine da. Stumm mahnend, wie sehr sich die Menschen in Groß-Gerau wie in ganz Deutschland in Hass und Gewalt verstrickt hatten. Als die kleine Glocke dann feierlich am Sonntag, dem  18.9.1949 begrüßt und „geweiht“ wurde, wurde sie deshalb auch nur in einen Dachreiter gesetzt, der auf dem Dach der an das Gemeindehaus angebauten Notkirche auf sie wartete. Die wenigen aus dieser Zeit erhalten gebliebenen Dokumente beweisen: Die Menschen in Groß-Gerau hatten den Glockenklang geradezu herbeigesehnt.

Aber diese kleine Glocke war noch in anderer Hinsicht etwas Besonderes. Sie hätte nicht geläutet, wenn nicht eine Familie aus den USA das Gießen der Glocke und das elektrische Läutewerk bezahlt hätte. Wir haben in der letzten Ausgabe schon davon berichtet. Die Fabrikantenfamilie Faulstroh aus Groß-Gerau war befreundet mit der Familie Herrlinger aus Ohio in den USA und war es auch geblieben, als das nationalsozialistische Deutschland mit der ganzen Welt Krieg führte. Und diese Freundschaft mit „Tante Carry“ aus den USA überstand diesen Krieg, in dem deutsche und amerikanische Soldaten aufeinander schossen. Als die von der Familie Herrlinger gestiftete Glocke zum ersten Mal erklang, wurde eine Tonaufnahme gemacht, die heute leider nicht mehr erhalten ist. Aber dieser Glockenklang wurde auf Schallplatte gepresst (so machte man das damals) und über das große Meer nach Cincinnati in Ohio geschickt – mit einem herzlichen Dank. Was für eine Freude, als nach einigem technisch bedingten Hin und Her auf einem amerikanischen Plattenspieler eine deutsche Schallplatte mit dem Klang der Groß-Gerauer Glocke abgespielt    wurde!

Und dann tat sie jahrelang das, was Glocken können: Sie erklang zum Gottesdienst, zur Konfirmation, zur Taufe – vielleicht gehören Sie zu denen, die mit diesem Klang im Ohr getauft wurden. Sie werden es nicht mehr wissen, aber der Klang dieser Glocke hat Sie vielleicht in die Gemeinschaft der Christen gerufen.

Als dann 1953 der wieder aufgebaute Stadtkirchenturm ein großes Geläut mit zunächst fünf, dann sechs Glocken bekam, hatte die kleine Glocke auf der Notkirche ausgedient. Wen man auch fragt, es gibt keine verlässlichen Aussagen, dass sie nach 1953 noch einmal geläutet hat. Wahrscheinlich 50 Jahre hat sie stumm ausgeharrt. (Wenn Sie es besser wissen, melden Sie sich bitte!) Dann wurde sie auch noch eingelagert, als nämlich das alte Gemeindehaus mitsamt der Notkirche dem Neubau der Diakonie wich.

Aber sie ist eben etwas Besonderes. Und deshalb geht die Geschichte dieser Glocke weiter: Sie wird wieder klingen. 180 kg Glockenbronze, gegossen vor 70 Jahren in Westfalen, gestimmt in d‘‘, mit der Inschrift: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ – sie wird wieder klingen! Nicht im Turm, sondern im Inneren der Kirche. Sie ist eben etwas Besonderes.

Die uns wohl bekannte Nürnberger Künstlerin Meide Büdel hat im Auftrag des Kirchenvorstands eine Installation entworfen, in der diese Glocke eine zentrale Bedeutung hat, ein Kunstwerk, das lebendig ist und klingt. Die Glocke wird über einem Wasserbecken schweben, aber so montiert, dass man sie auch anschlagen kann. Und unser Pfarrer hat schon zahllose Ideen, wie er ihren Klang in den Gottesdienst einbauen will. Stellen Sie sich eine Segnung, eine Taufe, eine Fürbitte für ein verstorbenes Gemeindemitglied vor – wenn dann nicht nur ein Licht angezündet wird, sondern im selben Moment ein Glockenton erklingt. Das können für die Menschen in unserer Gemeinde sehr berührende Momente werden.

Nun verstehen Sie sicherlich, warum der Kirchenvorstand dieses Glocken-Kunstwerk, diese Klang-Installation unbedingt haben wollte und es in Auftrag gegeben hat. Es wird wie die Kerzenwand unsere Gottesdienste, unsere Andachten, unsere Feiern bereichern. Eben etwas Besonderes, das den Menschen heraushebt aus dem alltäglichen Einerlei.

Es wird Sie nicht wundern, dass von der Renovierung der Glocke bis zur Montage im Seitenschiff einige tausend Euro gebraucht werden. Dem Kirchenvorstand ist diese besondere Glocke so wichtig, dass er glaubt mit Ihrer Unterstützung rechnen zu können. Wenn jedes Gemeindemitglied nur ein paar Euro spendet, dann könnten wir das Projekt finanzieren, aber noch wichtiger: dann wäre es UNSERE Glocke, die wir als Gemeinde für etwas ganz Besonderes halten, weil ihre Geschichte und ihr Klang wichtig ist. Deshalb steht am Ende die Bitte: Unterstützen Sie mit einer kleinen oder auch größeren Geldspende das Projekt, die Glocke der Notkirche wieder zum Klingen zu bringen! Vielen Dank!

Volker Lilje, Kirchenvorsteher

Kerzenwand

Seit Ostern 2016 hat die evangelische Stadtkirche Groß-Gerau eine Kerzenwand, die von der Nürnberger Künstlerin Meide Büdel, die auch die Prinzipalstücke geschaffen hat, entworfen und realisiert wurde. Wie die Prinzipalstücke zeigt die Kerzenwand aus brüniertem Stahl eine klare und doch ausdrucksstarke Formensprache. Sie bietet dem Besucher der tagsüber geöffneten Kirche die Möglichkeit zur persönlichen Andacht. Er kann eine Kerze entzünden und aufstellen oder auch einen Zettel mit einem Gebet, mit einer Bitte oder einem Dank beschriften und in die Wand stecken. Von der Möglichkeit, ein Licht in die Kerzenwand zu stellen, machen die Menschen vor und nach dem Gottesdienst oder auch, wenn sie an einem Werktag ganz allein in der Kirche sind, regen Gebrauch. Denn das Anzünden einer Kerze und der Blick in das Licht - das ist eine Form der Andacht, die alle Menschen kennen und schätzen, nicht nur gläubige Menschen. Ein Moment der Ruhe und Besinnung entsteht. Durch die Kerzenwand ist die evangelische Stadtkirche erst recht zu einem Ort geworden, der solche Momente möglich macht.

Auch im Gottesdienst wird die Kerzenwand verwendet. Wenn in den Fürbitten an ein verstorbenes Gemeindemitglied erinnert worden ist, wird an der Osterkerze ein Licht entzündet und still zur Kerzenwand getragen. Ein berührender Moment des Gedenkens und der Anteilnahme, wenn mit dem Licht der Kerze ein Mensch in die Hände Gottes zurückgegeben wird.

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